Weitere Ereignisse im zweiten Weltkrieg in Kurzfassung

Nach der Besetzung Kaldauens durch die Amerikaner war Margarethe Prang eine gefragte Frau. Sie war Chefsekretärin bei einer weltweit handelnden Firm in Köln-Deutz und sprach perfekt Englisch. Ihre Dienste als Dolmetscherin wurden von den Besatzern und den Kaldauern gerne in Anspruch genommen.

Wegen der näher rückenden Front wurde am 12. März 1945 der Omnibuslinienverkehr der Deutschen Post eingestellt. Weil es an männlichen Fahrern mangelte, wurden hin und wieder auch Frauen als Lenkerinnen eingesetzt; sie waren sichere Fahrerinnen und zudem mutig, denn immer drohte den Bussen große Gefahr durch die Jagdflieger der Alliierten.

Die Einwohner schützten die Fenster der Keller, in denen die Hausbewohner regelmäßig Schutz suchten, durch prall gefüllte Sandsäcke gegen die Druckwellen der Bomben. In den darüber gelegenen Geschossen sollten Reisigbündel einen ähnlichen Zweck erfüllen.

Nach 1933 gründete die Hitlerjugend (HJ) auf dem Hang vom Lendersberg (Kesselchen, Nöbelsiedlung) in Richtung heutigem Friedhof eine Fliegerschule. Zunächst wurde der Hang von jeglichem Aufwuchs befreit. In einer Werkstatt an der Tönnisbergstraße wurden die Geräte, einfache Konstruktionen, zusammengebaut. Sie bestanden aus einem offenen Rumpfgerippe mit einer Sitzgelegenheit, einem Höhen- und Seitenruder, einer Tragfläche und Kufen. Mit einem strammen Gummisystem, gezogen von der Startmannschaft und gehalten von der Haltemannschaft, wurde das Fahrzeug in die Luft katapultiert und flog, je nach Windstärke und –richtung etwa 300 bis 600 Meter weit. Täglich gab es etwa acht Starts und Landungen. Es war wie beim Skispringen, nur eben anders. Sonntags war auf dem Hang immer viel los. Insbesondere die Kaldauer Jugend zog es dort hin und schaute begeistert zu.

Zahlreiche Häuser hatten ihre Bedürfnisanstalten im Garten oder „im Hof“, wie man früher sagte. Manchmal waren die Toilettenbesuche allerdings keine ungefährlichen Angelegenheiten.

Die Beisetzungen von verstorbenen Kaldauern fanden auf dem Seligenthaler Friedhof statt. Katharina Sattler starb am Donnerstag, 15. März 1945. Mit einem von einem Pferd gezogenen Leichenwagen wurde sie zwei Tage später abends nach Seligenthal gefahren. Noch vor der Frühmesse am 18. März, die um 7 Uhr begann, wurde sie beigesetzt. Die Furcht der Trauergesellschaft vor Tieffliegern war groß. Diesmal ging es noch gut. Bei einer anderen Beerdigung mussten sich die Teilnehmer auf dem Seligenthaler Friedhof allerdings vor Tieffliegern schnell in Sicherheit bringen. In dieser Zeit verzichteten die Kaldauer Katholiken aus Sicherheitsgründen auf die Teilnahme an den in Seligenthal weiter stattfindenden Gottesdiensten; stattdessen wurde in den Häusern viel gebetet. Am Ostermorgen des Jahres 1945 zelebrierte Pfarrer Stockmann eine Eucharistiefeier im Schankraum des Gasthauses Braun.

Am unteren Buchenweg hatte die Reichswehr eine Feldküche eingerichtet. Gelegentlich gingen Kaldauer Frauen dorthin und baten um Essensreste für ihre Familien. Eines Tages kam Mutter Sattler mit einem Essenstopf, von den Soldaten gut gefüllt mit Schnaps, wieder nach Hause. Sie und weitere drei Cousinen ließen es sich gut schmecken, etwas Trost in schlimmer Zeit.

Manche Familien wurden durch den Krieg besonders hart getroffen. Die Familie Bönninghausen hatte vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter. Zwei Söhne, Matthias und Karl, starben im Feld, außerdem der Ehemann der Tochter, Schwiegersohn Rudolf Bracht. Ähnlich erging es der Familie Thomas, von der Sohn Heinrich an der Front ums Leben kam und Sohn Hans am 12. Mai 1950 an den Folgen der Gefangenschaft starb.

Die deutschen Soldaten waren auf den Angriff der Amerikaner über die Sieg gut vorbereitet. In den Jahren zuvor hatten sie zweimal jährlich in diesem Bereich Manöver durchgeführt, so dass sie taktisch gut eingestellt waren. Zudem kam ihnen der Damm der Wahnbachtalstraße als Schutzwall zu Gute. In diesem Bereich – aber auch im Kaldauer Wald – waren außerdem Schützengräben ausgehoben worden.

Hermann-Josef Braun, damals elf Jahre alt, wurde einmal zum Verhör vor deutschen Soldaten in die Gaststätte an der Münchshecke bestellt. Er wurde über das familiäre Leben ausgefragt. Möglicherweise wollte man wissen, ob seine Mutter den amerikanischen Sender hört. Frau Dichhardt, die Wirtin, blieb stets in seiner Nähe, um zu verhindern, dass er etwas Belastendes über seine Familie sagt. Das Verhör endete mit negativem Ergebnis für den Jungen und seine Familie. Ein Soldat brachte ihn wieder nach Hause. Als Dank für die unversehrte Rückkehr ihres Sohnes schenkte Mutter Braun dem Soldaten zwei Eier. Am Abend stellte sie ihr Radio, allen Gefahren zum Trotz, aber wieder an, um sich von den Amis über die weitere militärische Entwicklung informieren zu lassen.

Die Brücke über den Ummigsbach in Seligenthal wurde am 8. April 1945 von deutschen Soldaten gesprengt, ebenso ein Wasserdurchlass im Verlauf der Wahnbachtalstraße – zwischen heutiger Kleingartenanlage und Autobahn gelegen -. Die Hängebrücke über die Sieg zwischen Weingartsgasse und Hennef wurde kurz vor Kriegsende abgebaut und drei Jahre später wieder aufgebaut. Das Bauwerk im Verlauf der heutigen B 8 und die daneben liegende Eisenbahnbrücke über die Sieg zwischen Buisdorf und Siegburg wurden ebenfalls gesprengt.

Zahlreiche Kaldauer Männer waren an der Front. Ihr Schicksal bewegte die Familien Tag und Nacht. 26 mal brachte der Postbote Peter Pütz die Todesnachricht. Das war auch für den Briefträger jeweils ein schwerer Gang. Oft gingen die Frauen schon morgens zur Kaldauer Poststelle, um dort nachzufragen, ob für sie ein Brief von der Front angekommen sei. So ging es auch der Familie von Wilhelm und Thea Braun. Ehemann und Vater Wilhelm fiel im Februar 1945, eine Nachricht erhielt die Familie jedoch nicht. Erst im August sprach ein Mann im Hause der Familie Braun vor und empfahl, in der Bonner Augenklinik nach einem Kameraden ihres Mannes zu fragen, der könne über sein Schicksal Auskunft geben. Frau Braun machte sich sofort auf den Weg und erfuhr im Bonner Krankenhaus Näheres über den Soldatentod ihres Mannes. Hugo Braun, in Kaldauen geboren, nach der Eheschließung wohnhaft in Wolsdorf,  hatte es als Soldat nach Tobruk (Libyen) verschlagen. Dort geriet er in Gefangenschaft. „Es geht mir gut“ schrieb er nach Hause. Noch als der Brief nach Deutschland unterwegs war, trat er am 16. Dezember 1946  in Tobruk auf eine Miene und war schon tot, als die Familie sich noch über sein Lebenszeichen freute.

In der Ideologie der Nazis spielte der Volkssturm in den letzten Kriegsmonaten eine wichtige Rolle. In Siegburg zum Beispiel leistete er den Amerikanern am 9. April 1945 energischen, allerdings vergeblichen Widerstand. Der Volkssturm in Kaldauen war dagegen eine hilflose Gruppe von etwa zehn Jugendlichen und älteren Herren, ausgestattet mit nur einem Gewehr für die ganze Gruppe. Wie chaotisch das Ganze organisiert war, sei am Beispiel des Paul Hochgeschurz beschrieben. Mit seiner Familie wohnte der damals 16-jährige im heutigen Wiesenweg. Nach der Entlassung aus der Handelsschule im Sommer 1944 wurde er zum Volkssturm eingezogen. In Oberlar wurde er als Flakhelfer zwei Wochen lang ausgebildet. Danach musste er in die Nähe von Stettin reisen, wo er einer Einheit, die die dortigen Benzinproduktionsstätten schützen sollte, zugewiesen wurde.  Von dort ging es wenige Wochen später nach Rosengarten, Radzieje, Ostpreußen. Dort mussten ein Meter tiefe Gräben ausgehoben werden, um Geschütze eingraben zu können. Nach fünf Wochen „himmlischer Ruhe“, so die Erinnerung von Paul Hochgeschurz, ging es im November 1944  weiter nach Graudenz im benachbarten Westpreußen. Hier gewährte ihm der Kommandant Heimaturlaub. Als der 16-jährige seinen Dienst in Graudenz wieder aufnehmen wollte, war seine Einheit verschwunden. In Wien fand er eine neue Aufgabe. Ende Januar wurden die dortigen Luftwaffenhelfer entlassen, weil eine neue Besatzung kam. Drei Tage war er für die Heimfahrt unterwegs. In Kaldauen herrschte noch relative Ruhe, von den gelegentlichen „Besuchen“ der Tiefflieger und dem Überfliegen der Bomber mit den relativ seltenen Abwürfen abgesehen. Dann kam die Einladung zur Musterung. Weil er kein Passbild bei sich hatte, wurde er nicht als Soldat eingezogen. Paul blieb bis zum 20. März 1945 unbehelligt zu Hause. Dann erreichte ihn die Aufforderung, sich beim Volkssturm zu melden. In Allner traf sich eine Männergruppe, die zu Fuß nach Merten (Eitorf) marschieren musste. Sie sollte dort im teils schwer beschädigten Schloss übernachten. Paul zog es aber noch in der Nacht nach Hause. Er stolperte über die Schienen der Eisenbahn bis nach Hennef und von dort ging es weiter nach Kaldauen. Am nächsten Morgen wollte er wieder nach Merten, allerdings diesmal mit dem Fahrrad. Auf der Unterdorfstraße, der heutigen Kapellenstraße, hielt ihn der dort wohnende Fritz Beule an und schickte ihn angesichts der Tatsache, dass die Amerikaner schon in Hennef waren, wieder nach Hause. Paul folgte seinem dringenden Rat und fuhr wieder heim. Die nächsten drei Wochen, bis zum Eintreffen der Amerikaner am 10. April 1945,  ließ er sich nicht in der Öffentlichkeit sehen und blieb vor weiteren Nachforschungen durch die „Kettenhunde“, wie die Männer von der SS genannt wurden, verschont.

Hinter dem Wohnhaus Hemmersbach, heute Hauptstraße 31 (gegenüber der Einmündung des Mühlenhofweges), befand sich die Soldstelle der Reichswehr, also ein wichtiger Treffpunkt der Soldaten. Die Amerikaner waren wohl darauf aufmerksam geworden und beschossen diese Dienststelle, und zwar so genau, dass sie durch die beiden unteren Fenster des Hauses das dahinter liegende Gebäude trafen. Die zur Hauptstraße gelegene Seit des Hauses Hemmersbach blieb weitgehend unbeschädigt stehen.

Die Überquerung des Rheins durch die amerikanischen Truppen am 7. März 1945 bei Remagen/Erpel war möglicherweise ein Glücksfall für Deutschland. Hätten die Alliierten den Fluss nicht überqueren können, dann hätten die Amis, so die Gerüchte heute, vielleicht Atomwaffen eingesetzt. Als Abwurfziele werden Ludwigshafen und Mannheim genannt.

Zusammenfassend ist festzustellen,  dass Kaldauen  durch die drei Wochen, vom 22. März bis zu seiner Befreiung am 10. April 1945, noch glimpflich davon gekommen ist, zumindest im Vergleich zu den benachbarten Dörfern und Städten, wie Wolsdorf und Geistingen, Siegburg und Troisdorf. Trotzdem ist jeder durch den Krieg in Kaldauen zu Tode gekommene Mensch einer zu viel. Es sollen daher nicht vergessen werden die fünf deutschen Soldaten und der amerikanische Pilot, die in Kaldauen gefallen sind. Was den Verfasser dieses Berichts bei seinen Recherchen über die jüngere Vergangenheit Kaldauens froh gemacht hat: Trotz aller Trübsal hat die Dorfgemeinschaft nicht unter dem sonst üblichen Terror der Nazis gelitten; es ging in der Zeit von 1933 bis 1945 relativ human hier zu. Von ihrem guten Gemeinschaftssinn profitierte zum Beispiel auch ein  Mensch, dessen Leben auf Grund der Angst und Schrecken verbreitenden Ideologie der damaligen Machthaber ernsthaft gefährdet war, der aber in seinem Versteck mitten in Kaldauen überlebte und erst am Tage nach der Befreiung durch die Amerikaner am 10. April 1945 seine dunkle Kammer  verlassen konnte. Erwähnen möchte ich schließlich noch  den Namen Robert Frings, der vor den Gräueln des Soldatenlebens geflüchtet war und Zuflucht bei seiner Familie in der Hauptstraße, auch etwa Ortsmitte, gesucht und gefunden hatte. Obwohl der Nachbar von gegenüber ihn am Fenster schemenhaft gesehen hatte, gab er sein Geheimnis den Spürhunden der SS nicht preis.

Zusammenhalten ist für ein Dorf in schwerer Zeit überlebenswichtig. Weil etwa die Hälfte der Einwohnerschaft durch die zahlreichen Großfamilien miteinander verwandt oder verschwägert war, waren gute Voraussetzungen für ein einvernehmliches Miteinander gegeben. Hinzu kam die mehrere Jahrhunderte alte Tradition der gemeinsamen Nutzung des sogenannten Erbenwaldes, der die Bürgerschaft als gleichberechtigte Genossen zusammenschweißte. Und wichtig war auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der vielen gläubigen Christen, die sich immer wieder zur Feier der Eucharistie in der Seligenthaler Pfarrkirche und in der Kapelle an der damaligen Unterdorfstraße zusammenfanden. Zudem traf sich regelmäßig eine Gruppe von Frauen im Haus der Familie Hupperich zum abendlichen Gebet, oft stundenlang kniend. Sie flehten so zu Gott um die Rückkehr ihrer fünf Söhne von der Front oder aus der Gefangenschaft. Die jungen Männer kamen heil wieder nach Hause. Es waren Paul Weber, Günther und Clemens Homge, Christian Kellershohn und Josef Huhn.

Ulrich Tondar

November 2021