Wie Kaldauen den zweiten Weltkrieg überlebte
Wie kam der zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem Überfall der Deutschen Reichswehr auf Polen begann, nach Kaldauen? Zunächst durch die Luft. Die Engländer begannen mit der Bombardierung Bonns am 22. Mai 1940 und Kölns im Jahre 1942. Der 18. Oktober 1944 gilt als Schwarzer Tag für die Städte Bonn und Beuel. Menschen aus Köln, Aachen und Bonn mussten, weil ihre Wohnungen zerstört waren, evakuiert werden. Einige Familien fanden Unterschlupf bei Familien, teils befreundet oder verwandt, in Kaldauen. Nur gelegentlich verirrten sich Bomber nach Kaldauen und warfen einige wenige Bomben ab, die aber keine größeren Gebäudeschäden anrichteten. In der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1941 überflogen sie unser Dorf und warfen über Seligenthal 13 Sprengbomben ab. Dafür kamen später die Tiefflieger und nahmen alles aufs Korn, was sich unter ihnen bewegte – Menschen bei der Arbeit auf dem Feld, Spaziergänger, Einkäuferinnen, bei Beerdigungen auf dem Friedhof in Seligenthal, auf dem Weg zu den Gottesdiensten ins Tal der Seligen. Siegburg wurde durch Luftangriffe am 28. Dezember 1944 und 6. März 1945 schwer getroffen, Wolsdorf musste ein schweres Bombardement in der Zeit vom 9. bis 13. März 1945 mit über 100 Toten über sich ergehen lassen. Die Bevölkerung in Kaldauen lebte auf Grund dieser Ereignisse und der Berichte der aus den Großstädten geflohenen Bevölkerung in ständiger Angst vor den Ereignissen der nächsten Tage und Wochen. Informationen regnete es oft vom Himmel, wenn amerikanische Flugzeuge ihre „Frontpost“, „Nachrichten für deutsche Soldaten“ sozusagen per Luftpost zuzustellen versuchten. Immer wieder fanden diese Publikationen auch den Weg in die privaten Haushalte, so dass man über den Frontverlauf relativ gut informiert war. Einige nutzten zudem – trotz ebenfalls strengstem Verbot – einen amerikanischen Radiosender für weitere Informationen. „Meine Mutter kroch förmlich in das Radio rein“ erinnert sich Hermann-Josef Braun. Und so waren die meisten Familien darüber informiert, dass die amerikanischen Truppen am 6. Juni 1944 in der Normandie landeten und nach der Einnahme der Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Remagen am 7. März 1945 bald am Ufer der Sieg erscheinen werden. Ihre militärische Erfolgsspur zog sich von Remagen entlang des Rheins bis Bad Honnef. Ein kleiner Teil der amerikanischen Soldaten kämpfte sich durch das Siebengebirge über Stieldorf, Geistingen und Hennef bis zur Sieg vor. Als sie dort – am 20. März – ankamen, waren alle die den kleinen Fluss überquerenden Bauwerke gesprengt. Drei Versuche, die Sieg zu überqueren, scheiterten zunächst an der heftigen Verteidigung durch deutsche Truppen. Die Amerikaner legten eine Pause ein, um ihre Kräfte zu sammeln und ihre Kriegsgeräte nachkommen zu lassen. Eine deutsche Kompanie hatte eine Verteidigungslinie im Wald zwischen Seligenthal und Stallberg eingerichtet. Kaldauen lag damit in der Hauptkampflinie, wovon eine große Gruppe der Zwangsarbeiter am 23. März am stärksten betroffen war (Näheres zu diesem schrecklichen Unglück im Bericht „Der schwärzeste Tag in der Geschichte Kaldauens“ auf dieser Homepage). Die Amerikaner zogen jedoch zunächst die Sieg aufwärts und kamen am 27. März nach Eitorf. Ihr militärisches Interesse galt Siegen, um von dort das Ruhrgebiet weiträumig umkreisen und rasch nach Mitteldeutschland vorstoßen zu können. Trotzdem gingen die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Siegburg und Allner weiter. Wie ernst die Lage für die Bevölkerung war, zeigt die Tatsache, dass am 25. März in der NSDAP-Kreisleitung über einen Befehl Hitlers beraten wurde, eine fünf Kilometer breite Zone entlang der Sieg „total“ zu räumen. Was hatte das Regime wohl vor? Sollte die Sieg, dieser schmale und nicht tiefe Fluss, und die sich auf der nördlichen Seite aneinanderreihenden Dörfer und Städte wie eine Festung, also Mann gegen Mann, Haus um Haus, verteidigt werden? Wie hätte Kaldauen nach einem solchen Häuserkampf wohl ausgesehen? Wahrscheinlich hätte kein Stein mehr auf dem anderen gestanden. Die Beratungen der damals Verantwortlichen ergaben jedoch, dass die Zwangsevakuierungen nicht durchgesetzt werden konnten. Zum einen wussten die braunen Machthaber nicht, wohin sie die Menschen führen sollten (wer sollte sie aufnehmen und womit sollten sie transportiert werden?) und dann entwickelte sich überraschend auch ein Widerstand der kriegsmüden Bevölkerung gegen die beabsichtigte Maßnahme. Offenbar vertrauten die Menschen – trotz aller militärischen Drangsal durch die heranrückenden Truppen – mehr der Humanität der Amerikaner als den Schutzmaßnahmen durch die deutschen Behörden. Und wer sollte die Evakuierung durchsetzen? Die Polizei hatte sich schon „geschlossen abgesetzt“ mit unbekanntem Ziel und auch die Sicherheitsdienste der SS und der Kriminalpolizei, sonst allgegenwärtig, waren auf einmal nicht mehr zu sehen. So hatten Teile der 97. Infanteriedivision der Amerikaner am frühen Abend des 9. April 1945 ein relativ leichtes Spiel, als sie die Kreisstadt besetzten. In nur fünf Stunden wurden zwei Drittel der Stadt eingenommen, der deutsche Widerstand war „mittelmäßig“, wie die damalige Stadtarchivarin Dr. Maria Geimer das Geschehen beschrieb. Allerdings gab der Volkssturm sich erst nach zähen Kämpfen geschlagen. Die Amerikaner kamen als Infanteristen, ausgestattet mit Granaten, Maschinenpistolen und Kleinfeuerwaffen, also ohne Panzer. Über die Zeithstraße zogen sie über den Stallberg nach Kaldauen und sammelten sich vor dem Ortseingang in Höhe des heutigen Friedhofes. Die Stunde der Entscheidung war da. Der allergrößte Teil der Bevölkerung erwartete die Amerikaner als Befreier, einige wenige, die der Ideologie der Nazis trotz allem Niedergang noch anhingen, mit eher gemischten Gefühlen. Wie würden die Amis nun vorgehen? Mit Waffengewalt, mit Zerstörung, war der Tag des Zorns über ein verstocktes Volk gekommen? Nein, denn nun kam die große Stunde des 52-jährigen Heinrich Walterscheid, genannt Hein, der im ersten Haus an der Hauptstraße wohnte, rechts, gesehen aus Richtung Stallberg. Ein einfacher Arbeiter, nicht groß von Gestalt, der im ersten Weltkrieg als Soldat in Afrika diente und sich dort wohl einige Brocken Englisch angeeignet hatte. Er erkannte die Gefahr, die den Kaldauern durch einen eventuellen militärischen Einsatz der US-Truppen drohte, das viele zusätzliche Leid, das dieser letzte Kriegstag in seinem Heimatdorf verursachen könnte. Er sah aber auch die Chance, durch beherztes persönliches Eingreifen das Blatt zu wenden, und die Befreiung des Dorfes mit friedlichen Mitteln zu erreichen. Ob er sich vorher mit Orts-Bürgermeister Theodor Schmitz abgestimmt oder mit sonst wem beraten hat, ist nicht geklärt. Er ging in das eheliche Schlafzimmer, nahm ein weißes Betttuch aus dem Schrank und band es an eine Bohnenstange, die er zuvor aus dem Garten geholt hatte. Ganz alleine ging er dann über die Schotterstraße zum Sammelplatz der Amerikaner. Es war ein schwerer Gang, denn es drohten ihm Gefahren von zwei Seiten. Zum einen war er nicht sicher, dass die Amerikaner seine friedliche Absicht erkannten und respektieren, zum anderen konnte ihn jederzeit eine Kugel aus dem Hinterhalt von fanatisch denkenden und handelnden Deutschen treffen. Aber Hein Walterscheid hatte Glück. Er wurde sofort zum amerikanischen Kommandanten vorgelassen und konnte ihm das Angebot einer friedlichen Übergabe Kaldauens machen. Dieser zeigte sich offen für diese Lösung, machte aber klar, dass er sofort erschossen würde, wenn deutsche Soldaten oder Partisanen seine Truppe angreifen würden. Walterscheid war einverstanden und setzte sich trotz aller Risiken mit seiner weißen Fahne an die Spitze der einziehenden Truppe, zuerst eine Gruppe von Soldaten zu Fuß hinter sich, danach folgten einige Jeeps und LKW´s, alle Soldaten hatten ihre Gewehre im Anschlag. So ging es über die an mehreren Stellen mit weißen Fahnen „geschmückte“ Hauptstraße, damals noch ein Fahrweg aus Sand und Schotter, bis zur Münchshecke, für Heinrich Walterscheid sicherlich der schwerste Gang seines Lebens. Er trug in diesen 20 Minuten eine große Verantwortung auf seinen Schultern. Er hat sie mit Bravour bestanden und ein großes Zeichen für Zivilcourage gesetzt. Am Fahrbahnrand standen einige Bewohner und begrüßten die Befreier zurückhaltend freundlich. Zu den vielen Neuigkeiten, die sie nun zum ersten Mal zu sehen bekamen, zählte auch die Tatsache, dass unter den Soldaten Menschen mit dunkler Hautfarbe dabei waren. Die Herzen der verängstigten Kinder erwarben sich die Besatzer durch die Verteilung von Süßigkeiten, insbesondere von kleinen Schokoladetafeln. So ging am 10. April 1945, einem sonnigen Frühlingstag, in Kaldauen der zweite Weltkrieg zu Ende. Die Menschen konnten aufatmen, die Kellerräume verlassen und wieder ihre vertrauten Wohn- und Schlafräume beziehen, bis auf die Familien, die den Besatzern ihre Räumlichkeiten zur Verfügung stellen mussten, manche für drei Tage, andere für die Dauer von drei Wochen. Ihr Kommandeur ließ an den Türen der Gastwirtschaft Braun in der Ortsmitte und der noch geschlossenen Schule die von General Dwight D. Eisenhower unterzeichnete Proklamation Nr. 1 der „Militärregierung-Deutschland“ an das deutsche Volk anheften, in der unter anderem erklärt wurde: „Wir kommen als ein siegreiches Heer, jedoch nicht als Unterdrücker“. Er reklamierte für sich die „höchste gesetzgebende, rechtsprechende und vollziehende Machtbefugnis und Gewalt in dem besetzten Gebiet in meiner Person“. Das war deutlich und ließ an dem Gestaltungswillen der neuen Machthaber keinen Zweifel aufkommen. Allerdings hatten die Kaldauer unter diesem militärischen Mandat nichts zu leiden. Die Amerikaner setzten den bis dahin amtierenden Bürgermeister Theodor Schmitz ab, die Orts-NSDAP hatte sich von selbst aufgelöst. Stattdessen wurde der Fabrikarbeiter Bertram Oberhäuser zum Ortsbürgermeister ernannt, Josef Caspers aus Bröl zum Bürgermeister des Amtes Lauthausen. Sie übernahmen eine schwere Aufgabe. In den Dörfern entlang der Sieg fehlte es an allem, Lebensmittel in den Geschäften waren äußerst knapp. Das erste Nachkriegsjahr war in Kaldauen eine schlimme, sehr schlimme Zeit, ein Hungerjahr, denn die Kampfhandlungen im März und April 1945 ließen nicht zu, dass die Felder und Gärten bestellt werden konnten. Zu den 650 Einwohnern kamen zahlreiche Evakuierte aus den Großstädten und bald setzte auch der Strom der Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten ein, und alle hatten Hunger.
Was geschah sonst in Kaldauen während des Krieges, wie lebten die Menschen hier und wie überlebten sie das Desaster? Kaldauen hatte das große Glück, abseits vom Geschehen zu liegen, keine kriegswichtigen Produktionsstätten zu haben, militärisch für die Alliierten also uninteressant. Die Menschen lebten von der Landwirtschaft und von dem, was die Väter und Ehemänner als Lohn von den Fabriken in den Nachbarstädten und –gemeinden nach Hause brachten. Große Arbeitgeber waren zum Beispiel die Phrix in Siegburg, Klöckner-Mannstaedt und Dynamit Nobel in Troisdorf, das Chronoswerk in Hennef. Mit dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 veränderte sich das Leben hier zunächst nicht grundlegend, obwohl von einer Kriegsbegeisterung – wie etwa 1914 – nicht gesprochen werden konnte. Das NS-Regime scheute sich, der Bevölkerung allzu große Opfer abzuverlangen. Aber spätestens mit der Einberufung der Ehemänner und Söhne zur Reichswehr und dem Eingang der ersten Nachrichten über den „Heldentod“, wie meist das grausame Sterben der Männer mystifiziert wurde, änderte sich das Bild. Zudem wurde stufenweise seit Kriegsbeginn die Zwangsrationierung auf Lebensmittel eingeführt. Fett, Fleisch, Butter, Milch, Käse, Zucker, Brot, Eier und Marmelade waren ab September 1939 in den Lebensmittel-/Milchgeschäften Braun, Prang, Hemmersbach (zugleich Metzgerei), Döppenbecker und Walgenbach sowie Zinner (Bäckerei) nur noch gegen Lebensmittelkarten erhältlich; einige Wochen später wurde für die nicht Uniform tragende Bevölkerung die Rationierung von Textilien mittels einer ein Jahr gültigen „Reichskleiderkarte“ eingeführt. Der Bezugsschein bestand aus 100 Punkten, die beim Kauf von Textilien abgerechnet wurden. Ein Paar Strümpfe „kostete“ vier Punkte, ein Pullover 25 Punkte, ein Damenkostüm 45 Punkte. Dem „Normalverbraucher“ standen pro Monat 2.400 Gramm Fleisch, 1.400 Gramm Fett, 1.000 Gramm Zucker, 600 Gramm Nährmittel, 325 Gramm Kaffee-Ersatz, 400 Gramm Marmelade und 400 Gramm Käse zu. Schwerarbeiter erhielten Sonderzulagen, ebenso werdende Mütter oder Kinder. Diese Rationierungen trafen die Kaldauer nur bedingt, denn fast alle Familien nannten zumindest einen Garten ihr eigen. Auch wenn der Sandboden nicht besonders produktiv war, so funktionierte die Selbstversorgung weitgehend. Das änderte sich allerdings grundsätzlich, als die alliierten Fliegerverbände den Deutschen die Flughoheit abgenommen hatten. Da wurde das Arbeiten im Garten oder im Feld eine lebensgefährliche Angelegenheit. Denn die Tiefflieger schossen auf Alles, was sich bewegte. Und so kam es, dass in den Jahren 1944 und 1945, und wie schon gesagt auch 1946, in den Kaldauer Haushalten Schmalhans Küchenmeister war. Insbesondere Brot wurde zur Mangelware. Weil die örtlichen Bäcker nichts mehr verkaufen konnten, gingen sie – sich der drohenden Gefahren bewusst – für einen Laib Brot bis zur Breidterstegmühle im Jabachtal, zur Lüttersmühle im Wahnbachtal und zur Bäckerei Nuß in Braschoß. Fleisch dagegen gab es meist genug, insbesondere deshalb, weil sie immer wieder Gelegenheit hatten, von den Amerikanern erschossene Pferde und Ochsen für die Aufbesserung ihres Fleischvorrats zu nutzen. Wenn die Wege zu den Mühlen und auswärtigen Bäckern zu gefährlich waren, musste das vorhandene Getreide zu Hause mit ungewöhnlichen Mitteln zu Mehl gewandelt werden. So diente im Hause der Familie Homge eine an der Wand befestigte kleine Kaffeemühle zum Mahlen von Weizen, eine stundenlange strapaziöse Freizeitbeschäftigung im Dienste der nach Brot sich sehnenden Familie, an der sich Ferdi Homge als kleiner „Müller“ noch gut erinnern kann. Die Lebensmittelversorgung wurde weiter eingeschränkt dadurch, dass der Händler Prang seinen Laden schließen musste, weil er ein Schwein „schwarz“, also ohne Erlaubnis der Behörden, schlachtete. Er musste ins Gefängnis, kam aber bald wieder frei, nachdem er sich freiwillig zum militärischen Dienst gemeldet hatte.
Das Pflegeheim von Haus zur Mühlen war den Kaldauern, was ihre Lebensmittelversorgung anbetraf, keine große Hilfe. Das Haus diente als Lazarett und war später eine Außenstelle des Siegburger Krankenhauses für Patienten mit ansteckenden Krankheiten. Die Alexianer hatten selbst Mühe, ihre Patienten zu versorgen, so dass sie als Unterstützer für die Kaldauer weitgehend ausfielen. In ihrer Not hatte sich Hausfrau Thea Braun eines Tages auf der Suche nach Essbarem auf dem Mühlenhof „verirrt“ und eine Tüte Zwiebeln „organisiert“. Dabei war sie von einem Bewacher des Gutes, einem SS-Mann, beobachtet worden. Der folgte ihr bis zu ihrem Anwesen in der heutigen Kapellenstraße und stellte sie dort zur Rede. Eine ärztliche Praxis gab es in Kaldauen seiner Zeit nicht. Die nächst gelegenen Praxen und Krankenhäuser waren in Siegburg, auf dem Stallberg und in Hennef. Umso dankbarer waren die Kaldauer für die Dienste der Krankenschwester Katharina Schmidt, ständig im Einsatz mit ihrem kleinen Köfferchen voller Pflaster, Tabletten und Tinkturen. Sie war auch eine der ersten, die am 23. März 1945 an der Unglücksstelle eintraf, um den sterbenden und verletzten Zwangsarbeitern beizustehen. 14 Stunden war sie an diesem Tag unermüdlich auf den Beinen, assistierte bei den Operationen, verband die Wunden, schiente gebrochene Beine und Arme, betete mit den Verletzten, auch wenn sie ihre Sprache nicht kannte. Eine gläubige Frau, die dem dritten Orden der Dominikanerinnen angehörte und als junge Frau gerne als Missionsschwester in die weite Welt gegangen wäre. Dieser Wunsch ließ sich jedoch nicht verwirklichen. Und so fand sie ihre Aufgabe in ihrem Heimatdorf, den Menschen Zeit ihres Lebens in Liebe verbunden und zum Dienst für sie bereit, ein Engel für Kaldauen in schlimmer Zeit. Tante Trinkchen, wie sie auch genannt wurde, kümmert sich beständig auch um die Pflege der 1871 „zur größten Ehre Gottes“ errichteten Kapelle in der damaligen Unterdorfstraße, heute Kapellenstraße. Einmal wöchentlich, mittwochs oder donnerstags, fand dort ein Gottesdienst für die Kranken des Dorfes statt, der von dem in Seligenthal wohnenden Pfarrer zelebriert wurde. Anschließend besuchte er die Hauskranken und ließ sich zur Mittagszeit gerne bei einem der Bauern zum Mittagessen einladen. In der Nazizeit wechselten die in Seligenthal residierenden und auch für die Katholiken in Kaldauen zuständigen Pfarrer relativ häufig. Wilhelm Offergeld übte dieses Amt von 1931 bis 1937 aus, Johann Ottersbach von 1938 bis 1943 und Matthias Stockmann von 1943 bis 1952. Diese häufigen Wechsel in der Zeit der Drangsale waren sicherlich nicht zum Wohle der Bevölkerung. Die Katholiken vermissten einen Hirten, der sich um sie regelmäßig kümmerte, insbesondere als der Soldatentod immer mehr Lücken in die Familienbande riss und die Not sich immer mehr ausbreitete.
Kommen wir nun zu einem weiteren, traurigen Kapitel des zweiten Weltkrieges – die Zahl und die Namen der Kriegstoten. Es waren aus Kaldauen, Seligenthal, Münchshecke und Haus zur Mühlen 41 Männer und die 16-jährige Jugendliche Käthe Kraheck, die am 28. März 1945 in der Nähe der Autobahnraststätte Siegburg von Granatsplittern schwer verletzt wurde und im Krankenhaus verstarb. Auf der Hauptstraße in Kaldauen kam am 3. April 1945 am Ortseingang – gesehen aus Richtung Stallberg, heute Haus Nr. 14 – Johann Pütz durch Beschuss der Amerikaner zu Tode, als er – begleitet von seinen Kindern – mit einem Handwagen in Richtung Stallberg unterwegs war. Er wollte in einer ausgebrannten Baracke am Ortseingang nachsehen, ob noch etwas Brauchbares geborgen werden könnte. Die Familie Walterscheid barg den Toten und brachte in ihr Haus. Auf dem Handwagen, den er kurz vorher leer durch Kaldauen gezogen hatte, wurde er eine Weile später nach Hause gefahren. Johann Pütz wurde noch am selben Tag in seinem eigenen Garten notdürftig begraben. Seine letzte Ruhestätte fand er am 18. April auf dem Seligenthaler Friedhof. Der dritte Zivilist, Theo Schreckenberg, starb am 6. April 1945 in seinem Haus an der heutigen Talsperrenstraße im damaligen Dorf Münchshecke, als die auf der anderen Siegseite lagernde amerikanischen Truppe durch Beschuss einen am Hanachen agierenden Funktrupp durch Beschuss ausschalten wollte. Sie verfehlte zunächst ihr Ziel und traf die dahinter liegenden Wohnhäuser der Familien Schreckenberg und Sträßer. Theo Schreckenberg starb nach einer schweren Verletzung an den Füßen insbesondere deshalb, weil er nicht in ein Krankenhaus transportiert werden konnte. Die Helfer schafften nur, ihn bis zum Wohnhaus neben der Gaststätte Dichhardt zu tragen. Drei Tage später drohte das gleiche Schicksal den damals zehnjährigen Willi Brombach. Er wurde im Garten des elterlichen Hauses an der Hauptstraße, heute schräg gegenüber der ehemaligen Gaststätte „Kaldauer Hof“ gelegen, von Artilleriebeschuss in beiden Unterschenkel getroffen. Auch er drohte zu verbluten. Die Familie handelte jedoch umsichtig. Auf einem gummibereiften Handwagen, mit zwei großen Federkissen ausgepolstert, wurde der Junge im Eiltempo ins Siegburger Krankenhaus gefahren. Ein höchst gefährliches Unternehmen von Vater und Tochter, denn es war der Tag, an dem die Amerikaner in teils schweren Kämpfen Siegburg erobern sollten. Sie bereiteten den Angriff ihrer Infanterietruppe durch weitreichenden Artilleriebeschuss vor und mittendrin die drei Brombachs. Aber welche Gefahren nehmen ein Vater und eine Schwester nicht auf sich, um das Leben des Sohnes bzw. des Bruders zu retten. Im Hospital angekommen, wurde der kleine Willi in einem im Keller untergebrachten und notdürftig eingerichteten Operationssaal sofort medizinisch versorgt. Er war der erste Patient an diesem Tag, viele andere folgten nur Minuten später. Während draußen der Häuserkampf tobte, hoffte er in drangvoller Enge mit den anderen Opfern der militärischen Auseinandersetzung auf Genesung. Willi überlebte, sein Bruder Helmut wohl nicht; seit Februar 1945 wird der junge Soldat vermisst. Zwei andere Brüder kehrten einige Monate später von der Front, körperlich unversehrt, nach Hause zurück.
Mit ihrem Leben mussten außerdem ihren Einsatz als Soldat für das verbrecherische Regime der Nazis folgende Väter und Söhne bezahlen:
Rudolf Bracht, Georg Bahn, Wilhelm Bellinghausen, Matthias und Karl Bönninghausen, Wilhelm Braun, Werner Broicher, Willi Brühl, Wilhelm Esser, Kurt Gierling, Wilhelm Heinen, Fritz und Johann Hochgeschurz, Johann Hohn, Richard Huhn, Anton Kemp, Heinz Klein, Willi Meyer, Heinrich Niersberger, Heinrich Roth, Fritz Sattler, Severin Schmitz, Peter Schorn, Gerhard und Jakob Schwarz, Willi Sürtenich und Hans Thomas, alle aus Kaldauen; Ernst Ahrens, Heinrich Barth, Josef Beule, Peter Frings, Anton Keller, Willi Kümpel, Adolf Schneller, Karl Schreckenberg und Heinrich Thomas aus Seligenthal; Josef Schneider von der Münchshecke, Johannes Blum und Johann Friedrich Sachs von Haus zur Mühlen; alle – bis auf Hans Thomas, der in Kaldauen am 12. Mai 1950 an den Folgen der russischen Gefangenschaft starb – sahen ihre Heimat nicht wieder und wurden in fremder Erde begraben. Welches Leid damit für die Familien zu Hause verbunden war, lässt sich in einem Abstand von 70 Jahren nur schwer beschreiben. Manche Familie erhielt erst Monate später eine Nachricht über den Tod ihres Vaters, Ehemanns oder Sohnes. Die Witwen hatten eine äußerst schwere Last zu tragen. Neben der Trauer um den Ehemann mussten sie nun allein für Ernährung, Bekleidung und Erziehung der Kinder sorgen. Was haben sie während des Krieges und in den Jahren danach geleistet, welche Mühsale mussten sie überwinden? Haben wir Kinder diese Leistungen richtig erkannt und gewürdigt? Der Löschgruppe Kaldauen der Freiwilligen Feuerwehr ist es zu verdanken, dass die Namen der Kriegstoten der beiden Weltkriege nicht in Vergessenheit geraten sind. Sie sind auf zwei Tafeln vermerkt, die in der Kapelle an der Kapellenstraße zu sehen sind; schlicht gestaltet, aber würdig.
Nun weitere Ereignisse in Kurzfassung:
Nach der Besetzung Kaldauens durch die Amerikaner war Margarethe Prang eine gefragte Frau. Sie war Chefsekretärin bei einer weltweit handelnden Firm in Köln-Deutz und sprach perfekt Englisch. Ihre Dienste als Dolmetscherin wurden von den Besatzern und den Kaldauern gerne in Anspruch genommen.
Wegen der näher rückenden Front wurde am 12. März 1945 der Omnibuslinienverkehr der Deutschen Post eingestellt. Wegen des Mangels an männlichen Fahrern wurden hin und wieder auch Frauen als Lenkerinnen eingesetzt.
Die Einwohner schützten die Fenster der Keller, in denen die Hausbewohner regelmäßig Schutz suchten, durch prall gefüllte Sandsäcke gegen die Druckwellen der Bomben. In den darüber gelegenen Geschossen sollten Reisigbündel einen ähnlichen Zweck erfüllen.
Nach 1933 gründete die Hitlerjugend (HJ) auf dem Hang vom Lendersberg (Kesselchen, Nöbelsiedlung) in Richtung heutigem Friedhof eine Fliegerschule. Zunächst wurde der Hang von jeglichem Aufwuchs befreit. In einer Werkstatt an der Tönnisbergstraße wurden die Geräte, einfache Konstruktionen, zusammengebaut. Sie bestanden aus einem offenen Rumpfgerippe, mit einer Sitzgelegenheit, einem Höhen- und Seitenruder, einer Tragfläche und Kufen. Mit einem strammen Gummisystem, gezogen von der Startmannschaft und gehalten von der Haltemannschaft, wurde das Fahrzeug in die Luft katapultiert und flog, je nach Windstärke und –richtung etwa 300 bis 600 Meter weit. Täglich gab es etwa acht Starts und Landungen. Es war wie beim Skispringen, nur eben anders. Sonntags war auf dem Hang immer viel los. Insbesondere die Kaldauer Jugend zog es dort hin und schaute begeistert zu.
Zahlreiche Häuser hatten ihre Bedürfnisanstalten im Garten oder „im Hof“, wie man früher sagte. Manchmal waren die Toilettenbesuche in Kriegszeiten keine ungefährliche Angelegenheit.
Die Beisetzungen von verstorbenen Kaldauern fanden auf dem Seligenthaler Friedhof statt. Oma Katharina Sattler starb am Donnerstag, 15. März 1945. Mit einem von einem Pferd gezogenen Leichenwagen wurde sie zwei Tage später abends nach Seligenthal gefahren. Noch vor der Frühmesse am 18. März, die um 7 Uhr begann, wurde sie beigesetzt. Die Furcht der Trauergesellschaft vor Tieffliegern war groß. Diesmal ging es noch gut. Bei einer anderen Beerdigung mussten sich die Teilnehmer auf dem Seligenthaler Friedhof allerdings vor Tieffliegern schnell in Sicherheit bringen. In dieser Zeit verzichteten die Kaldauer Katholiken aus Sicherheitsgründen auf die Teilnahme an den in Seligenthal weiter stattfindenden Gottesdiensten; stattdessen wurde in den Häusern viel gebetet. Am Ostermorgen des Jahres 1945 zelebrierte Pfarrer Stockmann eine Eucharistiefeier in der Wirtschaft, nicht im Saal, Braun, an der fast alle Kaldauer teilnahmen.
Am unteren Buchenweg hatte die Reichswehr eine Feldküche eingerichtet. Gelegentlich gingen Kaldauer Frauen dorthin und baten um Essensreste für ihre Familien. Eines Tages kam Mutter Sattler mit einem Essenstopf, von den Soldaten gut gefüllt mit Schnaps, wieder nach Hause. Sie und weitere drei Cousinen ließen es sich gut schmecken, etwas Trost in schlimmer Zeit.
Manche Familien wurden durch den Krieg besonders hart getroffen. Die Familie Bönninghausen hatte vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter. Zwei Söhne, Matthias und Karl, starben im Feld, außerdem der Ehemann der Tochter, Schwiegersohn Rudolf Bracht. Ähnlich erging es der Familie Thomas, von der Sohn Heinrich an der Front ums Leben kam und Sohn Hans am 12. Mai 1950 an den Folgen der Gefangenschaft starb.
Die deutschen Soldaten waren im März 1945 auf den Angriff der Amerikaner über die Sieg gut vorbereitet. In den Jahren zuvor hatten sie zweimal jährlich in diesem Bereich Manöver durchgeführt, so dass sie taktisch gut eingestellt waren. Zudem kam ihnen der Damm der Wahnbachtalstraße als Schutzwall zu Gute. In diesem Bereich – aber auch im K Wald – waren außerdem Schützengräben ausgehoben worden.
Hermann-Josef Braun, damals elf Jahre alt, wurde einmal zum Verhör durch deutsche Soldaten in die Gaststätte an der Münchshecke bestellt. Er wurde über das familiäre Leben ausgefragt. Möglicherweise wollte man wissen, ob seine Mutter tatsächlich den amerikanischen Sender hört. Frau Dichhardt, die Wirtin, blieb stets in seiner Nähe, um zu verhindern, dass er etwas Belastendes über seine Familie sagt. Das Verhör endete mit negativem Ergebnis für den Jungen und seine Familie. Ein Soldat brachte ihn wieder nach Hause. Als Dank für die unversehrte Rückkehr ihres Sohnes schenkte Mutter Braun dem Soldaten zwei Eier.
Die Amerikaner waren nicht die ersten militärischen „Gäste“ in Kaldauen. 1795 rückten französische Truppen in die Siegaue ein, nachdem sie kurz zuvor Preußen und Hannoveraner vertrieben hatten. Dann wechselten in schneller, kaum noch zu verfolgender Reihenfolge Preußen, Franzosen, Württemberger, Österreicher und schließlich sogar Kosaken sich als Besatzungsmächte ab, bis endlich 1815 durch die Einverleibung des Herzogtums Berg in den Verband der Königlich Preußischen Staaten die ersehnte politische Ruhe einkehrte, allerdings nur für die Dauer von gut 100 Jahren, denn nach dem Ende des ersten Weltkrieges quartierten sich im Dezember 1918 für drei Tage kanadische Truppen in der Schule ein, vom 15. April bis zum 30. Juni 1919 das Bedfort Regiment, vom 30. Juni bis zum 5. August 1919 eine Wache des Manchester Regiments und vom 1. bis 15. September 1919 eine Wache des Queens-Regiments. Hin und wieder förderten diese Besatzungen allerdings auch menschliches Glück. So blieb nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 ein französischer Soldat mit dem Namen Homge in Schreck und heiratete eine deutsche Witwe. Einen der Söhne nannten sie Heinrich und der gründete mit der Henriette Niersberg in Kaldauen eine Familie mit fünf Kindern, drei Jungen und zwei Mädchen. Wie es deutsche Tradition ist, hieß einer der Söhne wieder Heinrich und der heiratete im Jahre 1921 die Margarethe Hupperich; ihre achtköpfige Familie lebte mehr als 20 Jahre am Beginn der heutigen Straße „Zur alten Fähre“/Abzweigung Kapellenstraße („de Hütt“), dann zogen sie 1942 zur Hauptstraße Haus Nr. 12, heute 96. Von den sechs Kindern lebt heute nur noch der Ferdinand, genannt Ferdi, mit seiner aus Schlesien stammenden Ehefrau Charlotte (ihre Schwester Käthe heiratete Hans Weiser, Wiesers Häns). Zwei Soldaten der Deutschen Wehrmacht hatte es bei ihren Einquartierungen im Siegkreis während des zweiten Weltkrieges offenbar so gut gefallen, dass sie sich eine der zahlreichen schönen Kaldauer Mädchen zur Frau nahmen. Otto Hinrichsen aus Mecklenburg freite erfolgreich um Adele Hochgeschurz und gründete in Kaldauen eine Familie. Herbert Unkrieg heiratete 1947 Maria Homge, ebenfalls Kaldauer Urgestein, und zog mit ihr auf den 160 Morgen großen elterlichen Bauernhof bei Stralsund, wo sie bis 1953 lebten. Um einige Erfahrungen mit dem kommunistischen System reicher, kamen sie wieder nach Kaldauen zurück.
Die Brücke über den Ummigsbach in Seligenthal wurde am 8. April 1945 von deutschen Soldaten gesprengt, ebenso ein Wasserdurchlass im Verlauf der Wahnbachtalstraße – zwischen heutiger Kleingartenanlage und Autobahn gelegen -. Die Hängebrücke über die Sieg zwischen Weingartsgasse und Hennef wurde kurz vor Kriegsende abgebaut und drei Jahre später wieder aufgebaut. Die Brücke im Verlauf der heutigen B 8 und die daneben liegende Eisenbahnbrücke über die Sieg zwischen Buisdorf und Siegburg wurden ebenfalls gesprengt.
Zahlreiche Kaldauer Männer waren an der Front. Ihr Schicksal bewegte die Familien Tag und Nacht. 26 mal brachte der Postbote Peter Pütz die Todesnachricht. Das war auch für den Briefträger jeweils ein schwerer Gang. Oft gingen die Frauen schon morgens zur Poststelle, um dort nachzufragen, ob für sie ein Brief von der Front angekommen sei. So ging es auch der Familie von Wilhelm und Thea Braun. Ehemann und Vater Wilhelm fiel im Februar 1945, eine Nachricht erhielt die Familie jedoch nicht. Erst im August sprach ein Mann im Hause der Familie Braun vor und empfahl, in der Bonner Augenklinik nach einem Kameraden ihres Mannes zu fragen, der könne über sein Schicksal Auskunft geben. Frau Braun machte sich sofort auf den Weg und erfuhr im Bonner Krankenhaus Näheres über den Soldatentod ihres Mannes. Hugo Braun, in Kaldauen geboren, nach der Eheschließung wohnhaft in Wolsdorf, hatte es als Soldat nach Tobruk (Libyen) verschlagen. Dort geriet er in Gefangenschaft. „Es geht mir gut“ schrieb er nach Hause. Noch als der Brief nach Deutschland unterwegs war, trat er am 16. Dezember 1946 in Tobruk auf eine Miene und war schon tot, als die Familie sich noch über sein Lebenszeichen freute.
In der Ideologie der Nazis spielte der Volkssturm in den letzten Kriegsmonaten eine wichtige Rolle. In Siegburg zum Beispiel leistete er den Amerikanern am 9. April 1945 energischen, allerdings vergeblichen Widerstand. Der Volkssturm in Kaldauen war dagegen eine hilflose Gruppe von etwa zehn Jugendlichen und älteren Herren, ausgestattet mit nur einem Gewehr für die ganze Truppe. Wie chaotisch das Ganze organisiert war, schilderte Paul Hochgeschurz: . Mit seiner Familie wohnte der damals 16-jährige im heutigen Wiesenweg. Nach der Entlassung aus der Handelsschule im Sommer 1944 wurde er zum Volkssturm eingezogen. In Oberlar wurde er als Flakhelfer zwei Wochen lang ausgebildet. Danach musste er in die Nähe von Stettin reisen, wo er einer Einheit, die die dortigen Benzinproduktionsstätten schützen sollte, zugewiesen wurde. Von dort ging es wenige Wochen später nach Rosengarten, Radzieje, Ostpreußen. Dort mussten ein Meter tiefe Gräben ausgehoben werden, um Geschütze eingraben zu können. Nach fünf Wochen „himmlischer Ruhe“, so die Erinnerung von Paul Hochgeschurz, ging es im November 1944 weiter nach Graudenz im benachbarten Westpreußen. Hier gewährte ihm dem Kommandant Heimaturlaub. Als der 16-jährige seinen Dienst in Graudenz wieder aufnehmen wollte, war seine Einheit verschwunden. In Wien fand er eine neue Aufgabe. Ende Januar wurden die dortigen Luftwaffenhelfer entlassen, weil eine neue Besatzung kam. Drei Tage war er für die Heimfahrt unterwegs. In Kaldauen herrschte noch relative Ruhe, von den gelegentlichen Besuchen der Tiefflieger und dem Überfliegen der Bomber mit gelegentlichen Abwürfen abgesehen. Dann kam die Einladung zur Musterung. Weil er kein Passbild bei sich hatte, wurde er nicht als Soldat eingezogen. Paul blieb bis zum 20. März 1945 unbehelligt zu Hause. Dann erreichte ihn die Aufforderung, sich beim Volkssturm zu melden. In Allner traf sich eine Männergruppe, die zu Fuß nach Merten (Eitorf) marschieren musste. Sie sollte im teils schwer beschädigten Schloss dort übernachten. Paul zog es aber noch in der Nacht wieder nach Hause. Er stolperte über die Schienen der Eisenbahn bis nach Hennef und von dort ging es weiter nach Kaldauen. Am nächsten Morgen wollte er wieder nach Merten, allerdings diesmal mit dem Fahrrad. Auf der Unterdorfstraße, der heutigen Kapellenstraße, hielt ihn der dort wohnende Fritz Beule an und schickte ihn angesichts der Tatsache, dass die Amerikaner schon in Hennef waren, wieder nach Hause. Paul folgte seinem dringenden Rat und fuhr wieder heim. Die nächsten drei Wochen ließ er sich nicht in der Öffentlichkeit sehen und blieb vor weiteren Nachforschungen durch die „Kettenhunde“, wie die Männer von der SS genannt wurden, verschont.
Hinter dem Wohnhaus Hemmersbach, heute Hauptstraße 31 (gegenüber der Einmündung des Mühlenhofweges), befand sich die Soldstelle der Reichswehr, also ein wichtiger Treffpunkt der Soldaten. Die Amerikaner waren wohl darauf aufmerksam geworden und beschossen diese Dienststelle, und zwar so genau, dass sie durch die beiden unteren Fenster des Gebäudes das dahinter liegende Gebäude trafen. Die zur Hauptstraße gelegene Seit des Hauses Hemmersbach blieb weitgehend unbeschädigt stehen.
Die Überquerung des Rheins durch die amerikanischen Truppen am 7. März 1945 bei Remagen/Erpel war möglicherweise ein Glücksfall für Deutschland. Hätten die Alliierten den Fluss nicht überqueren können, dann hätten die Amis, so die Gerüchte heute, vielleicht Atomwaffen eingesetzt. Als Abwurfziele werden Ludwigshafen und Mannheim genannt.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Kaldauen durch die drei Wochen, vom 22. März bis zu seiner Befreiung am 10. April 1945, noch glimpflich davon gekommen ist, zumindest im Vergleich zu den benachbarten Dörfern und Städten, wie Wolsdorf und Geistingen, Siegburg und Troisdorf. Trotzdem ist jeder durch den Krieg in Kaldauen zu Tode gekommene Mensch einer zu viel. Im Gedenken an die oben genannten Toten wollen wir nicht die fünf deutschen Soldaten und den verunglückten amerikanischen Piloten vergessen, die in Kaldauen gefallen sind. Was mich bei meinen Recherchen über die jüngere Vergangenheit Kaldauens froh gemacht hat, trotz aller Trübsal, die mir zu Ohren kam, dass die Dorfgemeinschaft nicht unter dem sonst üblichen Terror der Nazis gelitten hat; es ging in der Zeit von 1933 bis 1945 relativ human hier zu. Von ihrem guten Gemeinschaftssinn profitierte auch ein Mensch, dessen Leben auf Grund der Angst und Schrecken verbreitenden Ideologie der damaligen Machthaber ernsthaft gefährdet war, der aber in seinem Versteck mitten in Kaldauen überlebte und erst am Tage nach der Befreiung durch die Amerikaner am 10. April 1945 seine dunkle Kammer verlassen konnte. Weil die betroffenen Familien wünschen, dass ich nähere Einzelheiten nicht preisgebe und ich diesen Wunsch respektiere, kann ich zu diesem Glücksfall nichts Weiteres berichten. Ich bitte um Verständnis. Erwähnen möchte ich schließlich noch den Namen Robert Frings, der vor den Gräueln des Soldatenlebens geflüchtet war und Zuflucht bei seiner Familie in der Hauptstraße, auch etwa Ortsmitte, gesucht und gefunden hatte. Obwohl der Nachbar von gegenüber ihn am Fenster gesehen hatte, gab er sein Geheimnis den Spürhunden der SS nicht preis.
Zusammenhalten ist für ein Dorf in schwerer Zeit überlebenswichtig. Weil etwa die Hälfte der Einwohnerschaft durch die zahlreichen Großfamilien miteinander verwandt oder verschwägert war, waren gute Voraussetzungen für ein einvernehmliches Miteinander gegeben. Hinzu kam die mehrere Jahrhunderte alte Tradition der gemeinsamen Nutzung des sogenannten Erbenwaldes, der die Bürgerschaft als gleichberechtigte Genossen zusammenschweißte. Und wichtig war auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der vielen gläubigen Christen, die sich immer wieder zur Feier der Eucharistie in der Seligenthaler Pfarrkirche und in der Kapelle an der damaligen Unterdorfstraße zusammenfanden. Zudem traf sich regelmäßig eine Gruppe von Frauen im Haus der Familie Hupperich zum abendlichen Gebet, oft stundenlang kniend. Sie flehten so zu Gott um die Rückkehr ihrer fünf Söhne von der Front oder aus der Gefangenschaft. Die jungen Männer kamen heil wieder nach Hause. Es waren Paul Weber, Günther und Clemens Homge, Christian Kellershohn und Josef Huhn.
Ulrich Tondar
September 2021
Genutzte Quellen:
Archive der Stadt Hennef, des Rhein-Sieg-Kreises, der Universität Bonn, des Erzbistums Köln, der Pfarrgemeinde St. Servatius Siegburg, des Heimat- und Geschichtsvereins Lohmar, des Heimatforschers Heinrich Hennekeuser (Solingen), Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung, Publikation des Deutschen Historisches Museum München in Wikipedia.
Heimatblätter des Heimat- und Geschichtsvereins Neunkirchen-Seelscheid, Jahrbuch 2006
Festschrift „Das städtische Krankenhaus Siegburg“, Kreisstadt Siegburg
Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 1995
„Das Wort „unmöglich“ gibt es nicht“. Der Siegkreis in der frühen Nachkriegszeit 1945 – 1948. Geschichts- und Altertumsverein für Siegburg und den Rhein-Sieg-Kreis, 2012
„Zwangsarbeiter in Siegburg“, Dr. Peter Zenker, 2005.
65-er Nachrichten der Kreisstadt Siegburg, Heft 117, Frühjahr 2001.
100 Jahre Siegburg-Wolsdorf. Festschrift zum 100-jährigen Eingemeindung der Gemeinde Wolsdorf zur Stadt Siegburg, 1999.
Seligenthal, 1231 – 1981, Beiträge zum 750-jährigen Jubiläum, 1981.
Siegburg – Porträt einer Stadt, 1982.
Denkschrift zur Eingliederung eines Teiles der Gemeinde Braschoß in die Stadt Siegburg, 1956.
ZeitGeschichte 1945, Beilage der Wochenschrift Die Zeit, 2015.Zahlreiche Gespräche mit 1945 in Kaldauen lebenden Zeitzeugen.